Erstmalig in Europa: Unbekannte Kulturschätze aus Vietnam
Vietnam ist Heimat zahlreicher Weltkulturerbestätten und kaum ein Land in Südostasien hat in den vergangenen Jahrzehnten so viele Museen gebaut oder Ausgrabungsstätten für das Publikum zugänglich gemacht. Dennoch ist die Kenntnis der Geschichte und Kultur dieses Landes eher gering. Das ist Anlass genug, die erste große Ausstellung und deren Begleitband zur Kulturgeschichte Vietnams zu präsentieren.
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Zu diesem in Europa erstmaligen und einzigartigen Ereignis sprachen wir mit dem Direktor des Westfälischen Landesmuseums in Herne, dem ersten von drei Ausstellungsorten in Deutschland. Befragt wurde Dr. Josef Mühlenbrock, Klassischer Archäologe und seit 2008 Leiter des LWL-Museums für Archäologie, des Westfälischen Landesmuseums in Herne.
Wie kann man sich das Zustandekommen dieser Ausstellung vorstellen? Wer sind die Kooperationspartner?
Die Vietnam-Ausstellung war wirklich eines der herausforderndsten Projekte, das wir in unserem Museum gestemmt haben. Seit über acht Jahren arbeiten wir daran, die „Schätze der Archäologie Vietnams“ nach Deutschland zu holen. Dabei ging es nicht nur um die 9.000 km Distanz nach Vietnam. Da niemand bei uns vietnamesisch sprach und die meisten vietnamesischen Kollegen nicht englisch, geschweige denn deutsch sprechen, war die Kommunikation eine echte Herausforderung. Aber dank intensiver Teamarbeit deutscher und vietnamesischer Kolleginnen und Kollegen, verlässlicher Partner in Deutschland und Vietnam und intensiver Kommunikation zwischen Museen, Wissenschaft und Politik haben wir es geschafft: Drei deutsche Museen, das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz, die Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim und als Startort unser Haus zeigen ca. 350 Exponate aus zwölf Sammlungen und Museen, die zum Großteil noch nie außerhalb Vietnams zu sehen waren.
Welchen Zeitraum überspannt die Ausstellung? Und welches sind die Hauptthemen, auf die sich das Publikum freuen darf?
Premierenort ist vom 7. Oktober 2016 bis zum 26. Februar 2017 das LWL-Museum für Archäologie in Herne, wo Exponate von der Steinzeit des 2. Jahrtausends v. Chr. bis zur Gegenwartsgeschichte gezeigt werden. Danach wird die Ausstellung im Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz und den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim zu sehen sein. Es gibt viele spannende Exponate in unserer Ausstellung: von der über 2.000 Jahre alten Bronzetrommel mit Frosch-Aufsätzen, über Götterstatuen aus der Tempelstadt My Son im Dschungel Mittelvietnams bis zu einem Phönix aus Terrakotta vom Palast des ersten vietnamesischen Kaisers, der auf dem Boden der heutigen Hauptstadt Hanoi gefunden wurde. Damit werden beispielsweise Themen aus den Bereichen “Religion”, “Bestattungssitten”, “Handwerk”, “Handelszentren”, große Kulturen wie die “Champa-Kultur”, die Tempelstadt My Son und die kaiserliche Zitadelle von Thang Long behandelt, auf die sich das Publikum freuen darf.
Welches Exponat ist das Ihrem Empfinden nach bedeutendste dieser Ausstellung?
Mein Highlight ist dabei das Bootsgrab von Viet Khe, das nicht umsonst einer der Nationalschätze Vietnams ist: Ein fast fünf Meter langes Boot, das man mit einem Leichnam und über 100 Beigaben aus Bronze im Wasser versenkt hat: Waffen, Werkzeuge, Gefäße für Waschung und für Speisen sowie einige Musikinstrumente. Alles in allem die luxuriöse Ausstattung eines Mannes der sozialen Oberschicht um 300 v.Chr. Einige Stücke werden in Deutschland aufwändig restauriert und sind dann erstmalig außerhalb Vietnams zu sehen.
Die Ausstellung erzählt die Geschichte hinter den Objekten. Darf man also annehmen, dass die Ausstellung auch für Besucher interessant ist, die bisher keine Berührungspunkte zu Vietnam haben? Und sich hier gar der Wunsch entwickelt, das Land zu bereisen?
Ich hatte das Vergnügen, Vietnam für die Leihverhandlungen mehrmals zu besuchen. Dabei konnte ich überall nur kurz reinschnuppern und muss schon sagen: Vietnam ist ein wunderschönes Land voller Kultur- und Naturschätze, die es sich lohnt, im Original anzusehen. Und da wir viele dieser Schätze nach Deutschland holen, lohnt es sich für jeden, der schon einmal in Vietnam war oder der darüber nachdenkt, Vietnam einmal zu besuchen, sich unsere Ausstellung anzusehen.
Verbindet Sie persönlich etwas mit Vietnam – oder ggf. mit Asien?
Für mich war Vietnam absolutes Neuland. Ich hatte die verschiedensten Bilder im Kopf: Bilder vom „Napalm-Mädchen“ und von den Folgen von „Agent Orange“, Bilder von Dschunken in der traumhaften Ha-Long-Bucht mit Hunderten riesiger Kalkfelsen, die aus dem Meer aufragen, Bilder leuchtend grüner Reisfelder, Bilder unzähliger vollbeladener Mopeds auf den Straßen Hanois. Das alles und vieles mehr ist auch Vietnam und gehört zur Geschichte Vietnams. Aber den wahren Kulturreichtum des Landes habe ich erst bei meinen Besuchen entdecken können. Aber als ich dann einmal, nach langen Leihverhandlungen mit dem Chef des Nationalmuseums für die Geschichte Vietnams in Hanoi von ihm eingeladen wurde, mit ihm in die Magazine der nicht ausgestellten Exponaten schauen konnte, gingen mir fast die Augen über. Besonders beeindruckend war ein Raum voll mit Drachen-Siegeln der vietnamesischen Kaiser aus Gold, von denen wir eines in der Ausstellung zeigen dürfen.
Die Ausstellung wird nach ihrer Premiere in Herne noch in Chemnitz und Mannheim zu sehen sein. Tauschen Sie sich mit den anderen Museen aus – gibt es eine bestimmte Aufgabenteilung?
Ein solches Ausstellungsprojekt funktioniert nur mit verlässlichen Partnern. Wir waren froh, das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz und die Reiss-Engelhorn Museen Mannheim mit an Bord zu haben. Nur dadurch, dass sich drei Museen die Kosten für Transport und Versicherung teilen, war ein solches Ausstellungsprojekt überhaupt möglich. Wir haben uns in regelmäßigen Abständen getroffen – und das über Jahre –, um das ehrgeizige Projekt zu stemmen.
Ein äußerst wichtiger Partner war auch die Kommission für die Archäologie Außereuropäischer Kulturen des Deutschen Archäologischen Instituts in Bonn. Dort sitzt unser Chef-Kurator, Dr. Andreas Reinecke, der jahrzehntelang in Vietnam ausgegraben hat und über exzellentes Fachwissen und beste Kontakte verfügt. Er ist der Haupt-Autor des Kataloges zur Ausstellung, mit dem man die „Schätze der Archäologie Vietnams“ auch mit nach Hause nehmen kann.
Darf man die Ausstellung und den Katalog wohl zu Recht als erstmalige und aktuelle Gesamtdarstellung zur Archäologie und Geschichte in Europa bezeichnen?
Ganz sicher, denn diese Ausstellung ist die erste Sonderausstellung in Europa mit meist unbekannten Kulturschätzen aus UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten. Der Katalog bietet eine aktuelle Gesamtdarstellung zur Archäologie und Geschichte Vietnams von den Anfängen bis in die jüngste Vergangenheit.